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Autorenbildcarlotta kolumna

kannst du mich hören?

Hallo? Ist jemand da drin? Nick' einfach, wenn du mich hören kannst. Ich merke doch, dass du schlecht drauf bist. Komm schon, gibt mir ein kleines Lebenszeichen - dann bringe ich dich wieder auf die Beine. Ich verspreche dir, ich kann deine Schmerzen lindern. Aber du musst mir ein bisschen dabei helfen. Kannst du mir sagen, wo es weh tut? Zeig mir, wo es so sehr schmerzt.

Okay, wir schaffen das schon. Du wirst jetzt einen kleinen Stich fühlen, aber danach verschwinden die Schmerzen. Siehst du? Es wird schon besser! Versuch doch, ein paar Schritte zu laufen. Komm schon, wir müssen jetzt gehen.

Du wirst den Auftritt schon durchhalten!


Ich weiß nicht, woher der Schmerz kommt. Alles was ich höre und fühle, scheint in weiter Entfernung zu sein. Hast du etwas gesagt? Deine Worte scheinen wie Wellen durch den Raum zu fließen, aber ich verstehe dich nicht. Deine Lippen bewegen sich zwar, doch ich kann dich nicht hören.

Kennst du noch dieses freie Gefühl, was man als Kind so oft gefühlt hatte? Man hat Dinge gesehen, die nicht da waren. Angst davor hatte ich nie, doch so langsam fürchte ich mich vor den unsichtbaren Dingen des Lebens. Wie in einem Fiebertraum kann ich die Dinge nicht erklären, die ich gerade sehe. Selbst wenn, würdest du es überhaupt verstehen?

Ach, eigentlich ist dieses Rätselhafte gar nicht meine Art - ist jetzt aber auch egal.

Komisch, das Kind in mir ist scheinbar erwachsen geworden. Und irgendwie fühlt es sich sehr angenehm an, keine Gefühle mehr zu verspüren.


💭


Nachdem ich euch übers Wochenende mit meinem rätselhaften Gedanken alleine gelassen habe, kommt hier nun die Auflösung: Es handelt sich um den Song „Comfortably Numb“ von Pink Floyd, welcher im November 1979 erschienen ist. Das fast sieben-minütige Stück ist Teil des Konzeptalbums „The Wall“ und wurde gleichzeitig auch als Single ausgekoppelt. Eine weitere Rolle spielt der Song in dem Film „The Wall“, welcher sich um den Protagonisten Pink dreht und ebenfalls von Pink Floyd produziert wurde. Da mich diese Konversation, die innerhalb des Textes stattfindet, zum Nachdenken angeregt hat, möchte ich euch heute meine Interpretation von „Comfortably Numb“ vorstellen. Viel Spaß!


Der Inhalt des Textes


Zu Beginn ist klar zu erkennen, dass ein Arzt auf seinen Patienten einspricht. Er möchte herausfinden, warum dieser nicht mehr reagiert und woher seine Schmerzen kommen. Da sein Patient jedoch auf die Fragen des Arztes nicht reagiert, zückt dieser eine Spritze mit undefiniertem Inhalt. Sie soll dem Patienten die Schmerzen nehmen und ihn wieder auf die Beine bringen, denn im letzten Satz des Arztes finden wir heraus, dass er ihn für einen zeitnahen Auftritt fit machen will.

Nun antwortet der Patient namens Pink, dass er sein Gegenüber nicht hören kann - obwohl er realisiert, dass dieser durch Lippenbewegungen einen Kommunikationsversuch wagt. Der Patient schweift jedoch sofort ab und wird durch seinen halluzinativen Zustand an die Fieberträume erinnert, welche als Kind oft erfahren hatte. Letztendlich bemerkt er, wie gefühllos er geworden ist und wie angenehm er das findet - und mit den titelgebenden Worten „Comfortably Numb“ beendet ein Gitarrensolo den Song.


Die musikalische Untermalung


Musikalisch werden wir von vornherein in diese Welt der Fieberträume mitgenommen, denn Pink Floyd arbeitet hier mit einem langsamen Beat mit verschmelzenden Gitarrenakkorden. Dass der Text eine Konversation darstellen soll, wird durch einen Sängerwechsel verdeutlicht: Roger Waters singt die Rolle des Arztes, David Gilmour nimmt stimmlich die Rolle des Pink ein. Während die Stimme des Patienten von romantischen Dur-Akkorden untermalt wird, liegen düstere Akkorde in Moll unter den Sätzen des Arztes. Diese Aufteilung soll ganz klar die Rollenverteilung unterstützen, wobei der Arzt der böse Antagonist darstellt und der Patient in seiner Halluzination die reale Welt nicht mehr wahrnimmt und in seiner eigenen Vorstellung lebt.


Ein persönlicher Hintergrund?


Entgegen dem, was laut Roger Waters autobiographisch inspiriert wurde, erkenne ich ein Muster in diesem Song: Pink Floyd verarbeitet den Verlust von Gründungsmitglied Syd Barrett. Er musste, knapp drei Jahre nach der Gründung von Pink Floyd, aufgrund psychischer Probleme die Band verlassen. Er galt von Beginn an als kreativer Kopf der Band, der, vor allem durch seinen übermäßigen LSD-Genuss, für die Leidenschaft zum Psychedelic Rock bekannt ist. Was die Kreativität in der Musik förderte, zerrüttete jedoch den Zusammenhalt der Band. In „Comfortably Numb“ verarbeiteten Roger Waters und David Gilmour die schwierige Zusammenarbeit mit Syd, welche anhand seiner psychischen Probleme und dem Drogenkonsum zu Grunde ging. Mit Fragen wie „Hallo? Ist da jemand drin?“ zeigen sie, wie gedankenverloren der Sänger während ihrer gemeinsamen Zeit gewirkt hatte. In den 70er Jahren waren psychische Krankheiten noch lang nicht erforscht und das Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit war nicht geschaffen. So konnten Waters und Gilmour nur ansatzwese begreifen, was in ihrem Bandkollegen vorging. Das, was sie jedoch begreifen konnten, haben sie in ihrer Musik festgehalten.


Was ich darüber denke


Abschließend glaube ich, dass uns dieser Song noch eine Ebene tiefer treffen will. Das finden wir heraus, indem wir uns die beiden Protagonisten noch einmal genauer anschauen:


Zuerst den sogenannten Arzt, der den Patienten Pink aus seinem hypnotischen Zustand verhelfen will. Genauer gesagt, geht es ihm nicht um seine Gesundheit - er will nicht, dass das kostspielige Konzert durch Pinks schwachem Zustand abgesagt werden muss. So nimmt er in Kauf, Pinkschädliche, bewusstseinsveränderte Mittel zu verabreichen, nur um dem Erfolg der Band nicht zu schaden. Meiner Meinung nach eine klare Kritik an der unmenschlichen Seite der Musikindustrie, welche oft die Prioritäten auf den Kommerz anstatt auf die Menschen hinter der Musik legt.


Pink jedoch ist meiner Meinung nach nicht das „Opfer“, wie es in dem Song scheint. Auf mich wirkt sein Teil des Songs so, als fühle er sich wohl in seiner Welt. Er muss sich seinen Problemen nicht mehr stellen - denn diese waren seine eigenen Gefühle. Angenehm gefühlslos genießt er die Ruhe, die nun endlich in ihm herrscht. Wenn man nun das zweite Gitarrensolo betrachtet, welches nach Pinks finalem Text einsetzt, wirkt es lauter und aggressiver als das Vorhergegangene. Für mich ist das der musikalische Ausdruck davon, dass Pink sich in seiner Welt gestört fühlt. Er fühlt sich darin wohl und verspürt nun zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein Gefühl: Wut. Er ist wütend darüber, dass der Arzt ihn aus seinem „Safe Space“ herauszuholen versucht. Während das Ende des Songs, genau wie der Anfang, verwaschen durch schwindende Dynamik herbeigeführt wird, hoffe ich für Pink, dass er wieder in seine eigene Welt entfliehen wird und so seinen Frieden findet.

Verlustängste, Kritik, Freundschaft, Fantasie und wahnsinniges Talent in der Musik - verarbeitet in sieben Minuten eines melodischen Meisterwerkes. Dafür bewundere ich Pink Floyd: Während die ersten Töne ihrer Song aus meinen Kopfhörern tönen, holen sie mich sofort ab und entführen mich in ihre verträumt-psychedelische Welt.


Was denk ihr über die britische Band? Seht ihr den Sinn des Textes genauso oder habt ihr andere Ansätze? Lasst es mich gerne wissen - ich freue mich auf eure Worte!


thank u for your inspirational words, dad 🖤


-cmk

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